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Jour Fixe 08


Wanda Wylowa:
Welcome im Schwarzenbach-Komplex -- dezwüsche … isch dihei!


Zum SBK gestossen bin ich, Wanda Wylowa, Schauspielerin, nachdem ich meine Klassismus-Erfahrungen im Theaterstück Der Nebenwiderspruch – Eine Kampfansage des feministischen Kollektivs Der grosse Tyrann bearbeitet habe.

Ein Song über meine von Klassendiskriminierung geprägten Jahre an der Schauspielschule, mit dem Titel Vom Dazwischen-sein beschreibt das Gefühl, das man haben kann, wenn man, wie in meinem Fall, durch das Besuchen einer Hochschule, von einer Klasse in die andere aufsteigt, aber dann in keiner Gesellschaftsschicht mehr richtig zu Hause ist. Der Stallgeruch der unteren Klasse bleibt haften und auch die, die man hinter sich lassen musste, lassen einen grob spüren, dass man nun wohl "etwas besseres sei".

In der bunten Gemeinschaft vom SBK fühlte ich mich jedoch sofort zu Hause, andere mit slawischem Namen, ähnlicher Herkunft und vergleichbaren Erfahrungen haben mich mit offenen Armen empfangen und mir einen wunderbaren Einstieg in die Gruppenarbeit bereitet.

„Der Nebenwiderspruch -- eine Kampfansage„ vom Kollektiv „der grosse tyrann„ 


Guido Henseler:
Mein Leben als Sohn


Die Schwarzenbach-Initiative von 1970 zeigte unmissverständlich, wer in der schönen, wohlorganisierten Schweiz das Sagen hat. Die Schweizer Männer durften an der Urne über das Schicksal von etwa 300'000 Saisonniers abstimmen. Und einer dieser stimmberechtigten Schweizer Männer war mein Vater.

Mein Vater war, als über die Schwarzenbach-Initiative abgestimmt wurde, fünfundzwanzig und, wie er selber sagt, angepasst und relativ unpolitisch. Meine Eltern waren ein paar Jahre zuvor vom Land in die Stadt Luzern gezogen und wählten stramm CVP – wie so viele in der Innerschweiz. Mein Vater liess sich 1970 zum Polizisten ausbilden und meine Mutter war mit meiner jüngeren Schwester schwanger. Unser Leben war in allen Belangen sehr bescheiden.

Kürzlich habe ich meinen Vater auf die Schwarzenbach-Initiative angesprochen. Seine Reaktion war, so kam es mir zumindest vor, ausweichend. Ob er sich denn nicht mehr daran erinnern könne, habe ich nachgefragt. Doch, schon, aber das sei so lange her und für ihn nicht so wichtig gewesen. Er könne sich aber erinnern, dass kurz vor der Abstimmung unter den Schweizerinnen und Schweizern Saisonnier-Witze die Runde machten. Lustige und, vor allem, weniger lustige.

Ab Mitte Siebzigerjahre fuhren wir jedes Jahr für zwei Wochen nach Rimini in die Ferien. Ein Pauschalangebot in einem Hotel mit Swimmingpool. Das war damals die Bestätigung für den beruflichen und folglich finanziellen Erfolg meines Vaters. „Wir machen Ferien in einem Land, wo die Menschen noch wissen, wie man das Leben geniesst,“ pflegten meine Eltern zu sagen. „Die Italiener arbeiten zwar weniger als wir Schweizer, sie sind aber sehr lebensfroh und charmant.“ Ich liebte die Ferien vor allem wegen den langen Abenden im Freien – mit Pizza, Gelati und flippern für 100 Lire.

Mein Vater war ein guter Unterhalter und Witzerzähler. Er liebte es, auch in den Ferien, die italienischen Saisonnier-Arbeiter und ihren deutsch-italienischen Akzent zu imitieren. Während mein Vater davon ausging, dass die lokale Bevölkerung sowieso nicht versteht, worüber er sich lustig macht, ermahnte ihn meine Mutter immer wieder, doch bitte leiser zu sprechen. Die Witz-Figuren waren meist faul, schwer von Begriff und ausgesprochene Frauenhelden – und viele von ihnen arbeiteten auf Schweizer Baustellen. Die Witze kamen bei den Zuhörenden, Ferienbekanntschaften aus der Schweiz oder aus Deutschland, in der Regel gut an. Und auch ich fand sie damals sehr lustig.

Nach den erholsamen Ferien in Rimini kehrten meine Eltern aber auch immer wieder gerne nach Hause zurück. Italien sei zwar ein wunderbares Ferienland, aber sie seien froh dass sie nicht dort leben müssten, sagten sie jeweils. „Hier in der Schweiz ist alles so gut organisiert und sauber.“ Dass die Saisonnier-Arbeiterinnen und -Arbeiter einen grossen Anteil am Gelingen des Projekts Schweiz haben und zudem den privilegierten Schweizerinnen und Schweizern manch unangenehme Arbeit abnehmen, haben meine Eltern nie erwähnt. Sie haben den Zusammenhang zwischen unserem Mittelstands-Wohlstand und der Arbeitsmigration wohl einfach ignoriert.

Später im Gespräch sagte mein Vater, dass die Schwarzenbach-Initiative aus heutiger Sicht betrachtet sehr ungerecht war. Überhaupt sei die Behandlung der Saisonnier-Arbeiterinnen und –Arbeiter, rückblickend, nicht in Ordnung gewesen. Wie, oder ob er damals überhaupt abgestimmt habe, daran könne er sich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern.

Die Italienischen Saisonniers seien damals gar kein so grosses Problem gewesen. Aber ein Teil der Flüchtlinge und Saisonniers die auf die Italienerinnen und Italiener folgten, hätten die Schweizer Gastfreundschaft mit Füssen getreten. „Als ehemaliger Polizist kann ich wirklich ein Lied davon singen“, sagte mir mein Vater am Schluss unseres Gesprächs.

Je älter ich wurde, desto mehr wurde mir klar, wie wenig Gedanken sich meine Eltern zu gesellschaftlichen Strukturen und Rassismus machten. Es war halt einfach so wie es war. Zunehmend waren wir uns in politischen und gesellschaftlichen Fragen nicht einig. Meine Eltern unterstellten mir immer häufiger, dass ich Probleme sehe, wo es gar keine gebe. Sie konnten nicht verstehen, warum ich gesellschaftskritische Bücher und linke Wochenzeitungen las. Ich wurde aus ihrer Sicht immer mehr zum Unangepassten, zum «Linken und Netten». Und damit die Kirche im Dorf blieb unterhielten wir uns immer seltener über gesellschaftspolitische Themen. So lange man nicht über Probleme spricht, gibt es sie nicht.

Während meinem Studium an der Kunsthochschule Luzern (Fachrichtung Video) wollte ich meine gesellschaftspolitischen Differenzen mit meinen Eltern in einer Video-Arbeit thematisieren. Die Video-Arbeit kam nie zustande, aber die Recherchen führten uns einmal mehr vor Augen, wie extrem unterschiedlich unsere Weltanschauungen sind. Für meinen Vater war es schwer zu ertragen, dass er mich, in seinen Worten gesprochen, an die Andersdenkenden, Subversiven und Schwachen verlor. Er hatte Angst, den Kontakt zu mir zu verlieren. Und je grösser seine Angst, desto grösser meine Lust, ihm mein Andersdenken ausdrücklich zu zeigen.
Spätestens seit mein Vater pensioniert ist, verspüre ich keine Lust mehr, ihn zu provozieren. Weshalb? Es ist komplex, wie es der Titel unseres Schwarzenbach-Komplexes sagt. Ich teile die Haltung meines Vaters nicht. Aber ich verstehe, dass mein Andersdenken, das er immer wieder als selbstgefällig kritisiert hat, auch für ihn sehr verletzend war. Und das hat sicher auch damit zu tun, dass ich seit einigen Jahren selber Vater bin.